32 Tage… also so ziemlich genau noch ungefähr zweiunddreißig Tage, vielleicht etwas mehr oder weniger… oder umgerechnet knapp einen Monat, geschätzte 2.764.800 Sekunden oder ewigwährende 2,76×1015 Nanosekunden. Dann geht es endlich los. Jetzt sind es vielleicht ein paar weniger, aber wer nimmt das mit der Zeit schon so genau?!
Ich finde es immer noch unglaublich schwer mir die anstehende Reise konkret vorzustellen, irgendwie ist es ja auch ein Ding der Unmöglichkeit. Das Bild ist total unscharf, bleibt eine in Nebel gehüllte, vage Vorstellung, manchmal durchzogen mit Hollywood Actionsequenzen und Hochglanzfotos aus der GEO. Und trotz dieser Undurchsichtigkeit – oder gerade deswegen – hat sich endlich das vertraute Gefühl der Aufgekratztheit eingestellt, diese unbändige Hibbeligkeit und Vorfreude, die ich so lange vermisst habe. Ich will los, besser jetzt als später, und scharre gehörig mit den Füßen. Geduldig warten ist nicht unbedingt meine Stärke. Als Kind hab ich die meisten Plätzchen verputzt bevor sie im Ofen gelandet sind, Pudding warm und flüssig aus dem Topf genascht oder mitten in der Nacht – meist zum Leidwesen meiner Geschwister oder Eltern – im riesigen, bunten Haufen glitzernder LEGO-Steine gewühlt, weil gerade ein Fantasieflash eingesetzt hatte und die Idee, solange sie noch frisch war, unbedingt ausprobiert werden musste. Ein verdorbener Magen, Bauchschmerzen oder diverse Strafpredigten konnten diese Ungedult nicht wirklich zügeln, warum also jetzt noch etwas an dieser Marotte ändern?
Naja, das Drehbuch der Weltreiseplanung schreibt gewisse Dinge vor und die lassen sich (leider) meist nicht sofort erledigen, brauchen etwas Zeit und halten mich noch an einer Leine zurück. Klar, so ganz unverzichtbar sind diese Dinge nicht und eine Tollwut-Impfung soll auch erst mal schön im Körper reifen um sein volles Aroma zu entwickeln. Nervig ist das schon irgendwie, dieser zähe Moment bis es nun losgeht, etwa so nervig wie Kaugummi an der Schuhsohle bei 50 Grad Asphalttemperatur. Vielleicht sollte ich die LEGO-Steine wieder aus dem Familienkeller ausgraben. Dann kann ich in den Pausen zwischen den einzelnen Stationen der Vorbereitung leidenschaftlich Luftschlösser bauen und wer weiß, vielleicht dämpft das ein wenig die Nervosität. Warten nervt also gehörig und, nun ja, gegen seine Natur kommt man nur schwer an. So konnte ich es mal wieder nicht lassen früher zu naschen, meinen Reiseappetit mit einem kleinem, flüchtigen Happen Welt zu stillen. Die Konsequenz: Ein Ausflug nach Lappland um mich zusammen mit einem Hundeschlittengespann bei arktischer Kälte irgendwo in der finnischen Wildnis zu verfahren, im Halbdunkel, ohne Zelt und erst recht ohne Schlafsack. Traumhaft! Gedacht war die Tour als geistige Vorbereitung auf patagonische Winterverhältnisse, erlebt habe ich ein kleines, großes Abenteuer und dazu noch eine Gemeinsamkeit zwischen den Huskys und mir festgestellt.
Ich packe also meinen Rucksack schon mal zur Probe, stopfe selbst eine Badehose rein obwohl es absehbar ist, dass sie nicht wirklich gebraucht wird. Aber um das Weltreise-Reisegewicht vorher schon mal auf dem Rücken zu spüren, kommt eben auch der ganze unnütze Kram mit. Muss ja realistisch sein und außerdem will ich wissen was die Schose wiegt. Jetzt könnte man sich auch einfach auf eine Waage stellen, aber sind wir doch mal ehrlich, wer macht denn sowas? Und dann geht es ab zum Flughafen nach Frankfurt am Main, Check-In, Helsinki, Kittilä. 2148 km weiter nördlich stehe ich vor dem winzigen Flughafen plötzlich in einer Winterlandschaft wie ich sie mir in meinen Träumen nicht vorgestellt hätte. Rechts und Links türmt sich meterhoch Schnee, dazu rieselt derselbe noch vom Himmel, es ist stockfinster und der flüchtige Blick auf die Temperaturanzeige bestätigt: Saukalt! Das Popometer sagt -60° Grad, das Thermometer -35° Grad! Spontan frage ich mich wie ich auf so ein schmales Brett gekommen bin und warum ich nicht irgendwo unter Palmen liege. Ab in den Bus zur Lodge, erneut einchecken, Winterausrüstung für extreme Kälte in Empfang nehmen, mit der man einem roten Michelin-Männchen zum verwechseln ähnlich sieht, und ab damit aufs Zimmer. Beim Abendessen lerne ich dann auch gleich den Rest meiner Gruppe kennen und spätestens ab jetzt bestätigt sich mal wieder: Alleine reisen ist absolut unproblematisch, denn Du triffst immer coole Leute, so auch hier. Silke, Susi, Marc, Sepp, Moe, Tobi und ich werden der harte Kern des Teams „South Park“, hier ist definitiv kein Platz für Warmduscher und Schamhaarföner zumindest laut Aussage unseres Guides Corinna. Die nächsten Tage sind geprägt von Lachkrämpfen und Gesangsübungen.
Am nächsten Morgen geht’s ab zur Husky Farm, Probefahrt mit vier Hunden und einem Schlitten. Ich bin mindestens so aufgeregt wie die Hunde und kann es kaum erwarten loszulegen. Corinna scheint es zu ahnen, knappe Einweisung für den Schlitten ala „ja das Ding hat auch eine Bremse“ und dann werden die Hunde eingespannt. Spätestens ab hier bricht heilloses Chaos aus, die insgesamt 34 Hunde veranstalten einen Krach das einem gehörig die Ohren schlackern. Je länger das Warten dauert, desto lauter werden die kleinen Racker. Dazu springen sie herum oder kabbeln miteinander. Der Kontrollverlust über Schlitten und Hunde ist also eigentlich schon vorprogrammiert. Dann heißt es: Auf die Plätze, fertig, los. Äh ja, was ist den nu passiert? Absolute Stille! Die Hunde sind schlagartig ruhig und zerren mit einer Wucht am Schlitten, dass es einem die Arme auskugelt. De facto kommt die erste Zwangspause nach zirka 45 Sekunden, weil ein herrenloser Schlitten eingefangen und sein Fahrer aus dem Tiefschnee ausgebuddelt werden muss. Nix schlimmes passiert, weiter geht’s. Dann setzt etwas ein, dass sich nur schwer in Worte verpacken lässt. Nahezu geräuschlos gleite ich durch ein weißes Zauberland, höre nur das Knirschen des Schnees unterm Schlitten und das Hecheln der Hunde vor und hinter mir, sonst nichts. Am Horizont krabbelt langsam die Sonne über die Kante und erzeugt ein gleißend helles Licht, dass den Schnee an tausend Stellen wie Sterne funkeln lässt und die weiße Wunderwelt in zartes rosa, hellblau und orange taucht. Ich bin sprachlos. Meditatives dahingleiten, ausspeichern, Festplatte löschen, Gedankenfassen und ähnliches kommt mir in den Sinn. Zeit dazu finde ich erstaunlich schnell, denn der Schlitten und die Hunde lassen sich echt easy ums Eck zirkeln und wie die Bremse funktioniert hat ja Corinna ziemlich deutlich erklärt.
Ab Tag Zwei geht der eigentliche Trip los, vier Tage auf Wildnistour. Im Klartext: Mit dem Schlitten in 4-5 Stunden durch das Winterwunderland zu Hütten ohne Strom, Zentralheizung meint Holzofen, fließendes Wasser kommt in Eimern aus einem Loch im Eis und das Plumpsklo bei -25° bis -35° Grad sorgt automatisch für eine Umstellung der Ess- und Trinkgewohnheiten und den ultimativen Kampf gegen die eigenen Bedürfnisse. Spätestens ab diesem Tag weiß man wieder die einfachen Dinge im Leben zu würdigen. Wenn man erst mal zwei Stunden Holz sägen oder hacken muss um das Ergebnis in ein paar Stunden im Kamin zu verfeuern oder im Kampf gegen den Erfrierungstod sechs Eimer eiskaltes Wasser aus dem Eisloch zieht, dann lernt man die schon für banal geglaubten Dinge wie Wärme, Elektrizität und den Komfort einer Fußbodenheizung wieder sehr zu schätzen. Luxus bedeutet hier, sich in der warmen Sauna für ein paar Stunden aufwärmen zu können und es zeigt sich sehr schnell, wie wertvoll guter Teamgeist ist. Denn es klappt nur, wenn alle mitmachen, Egoismus hat hier keinen Spielraum, nur die Gemeinschaft sorgt für Behaglichkeit und warme Füße.
Die nächsten Tage ähneln sich stark, denn sie sind geprägt vom Rhythmus des Nomadenlebens. Morgens die Hütte aufräumen, Klamotten einpacken oder alles was man dabei hat anziehen, Hunde versorgen, Schlitten packen und Hunde einspannen. Dann geht es wieder los, in den Sonnenaufgang hinein, durch die Märchenlandschaft aus Schnee und Eis. Es stellt sich eine innere Ruhe ein, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ich kann ein wenig meine Gedanken reflektieren und mich auf die kommende Reise einstellen. Gefüttert durch Sepps Abenteuer in fremden Ländern, die er mir am Kamin erzählt, wächst die Neugier auf die Welt. Dieser Abstecher in die Wildnis hilft die letzten Unsicherheiten zu beseitigen, im Gegenteil, zum ersten Mal stelle ich beruhigt fest, dass ich nun endlich die volle Überzeugung erlangt habe, genau das Richtige zu tun. Die letzten Zweifel habe ich abgeschüttelt und neue Energie für die letzten Tage in Deutschland getankt. Beim Rückflug drängt sich nicht das Gefühl des Heimkommens in den Vordergrund, sondern das Bewusstsein, dass ich nur einen flüchtigen Blick auf kommende Abenteuer erlangt habe. Das letzte Intermezzo zu Hause ist zwar ebenso richtig und wichtig, weil es für die Bindung an die Heimat sorgt, aber die Sehnsucht nach der Ferne und Abenteuern ist größer denn je. Zurück am Airport Frankfurt schmunzel ich beim Blick aufs Thermometer, lächerliche -8° Grad und auch auf der Fahrt nach Trier können mich die zeitweise -14° Grad nicht mehr schocken. Fast sommerlich, denke ich, und mache Finnen-like den obersten Knopf vom Hemd auf.
Hach ja, schön war’s und was nun die Huskys mit mir gemeinsam haben? Ja, auch sie können den Start einer Tour meist kaum erwarten, hüpfen vor Freude durch die Gegend, zappeln, springen und erzeugen bisweilen ein kleines Chaos. Meine Ungeduld und die damit einhergehende Naschsucht werde ich mir also weiterhin bewahren, den Huskys hat es meiner Erfahrung nach auch nicht geschadet. Und bald, ganz bald geht es endlich los…
da wäre ich ja gerne mit…
nächstes mal 😉 muss ja noch polarlichter sehen, die waren dieses mal irgendwie alle aus.