Die Sonne kriecht mühsam am Horizont empor, mein Backpack und ich stehen im Morgengrauen am Cook Island International Airport. Okay zugegeben, International wirkt hier sehr hoch gegriffen, denn der Airport samt Rollfeld ist etwa so groß wie eine Hutschachtel. Aus dem Hintergrund dringen sanfte Ukulelenklänge an mein Ohr, zwangsläufig muss es der Evergreen „Over the Rainbow“ sein was anderes wäre an diesem Ort auch völlig deplatziert. Sanft weht auch eine Brise vom Ozean herbei. Mich fröstelt es, komme ich gerade von sommerlichen 40 Grad Karibik, in frühlingshafte 25 Grad Südpazifik. Und kaum gelandet will ich eigentlich auch schon wieder weg, denn das Inselfeeling das ich bisher immer bei allen anderen Archipellen hatte, ist diesmal nicht im Handgepäck mitgereist sondern steht noch in Panama am Gepäckband. Doch es hilft alles nichts, George stopft mich in seinen Minivan und fährt auf der falschen (linken) Seite Richtung Unterkunft.
Im Hostel empfiehlt man mir drei Dinge: Den Cross-Island-Walk, eine Island Night und Aitutaki. Ersteres gehe ich mit einer sich rapide ausbreitenden Infektion am Fuß *) an und nach drei Stunden Wanderung in dichtem Dschungel bin ich soweit mir den Fuß mit einer stumpfen Machete absäbeln zu wollen. Der Trek ist trotzdem eines der wenigen Highlights auf der Insel auch wenn der Wasserfall gerade Betriebsferien hat. Dafür lohnt es sich auf den Viewpoint „The Needle“ hochzuklettern, mit Hilfe einiger morscher Seile und einer alterschwachen Kette die über dem Abgrund in eine Felswand geschlagen sind, ist das für lebensmüde Weltenbummler ein Kinderspiel. Oben angekommen, hat man eine herrliche Aussicht auf die Insel und irgendwie habe ich hier oben einen der mächtigen Ukulelenmänner mit der standesgemäßen Aussage: „Welcome to Paradise“ erwartet. Scheinbar kennt das Paradies seine Grenzen.
Je länger ich mich auf der Insel aufhalte, desto mehr festigt sich das Gefühl, das ich mich seit dem Betreten der Insel in den Film WALL-E verirrt habe. Ich kreuze auf einem Raumschiff durchs Universum, alles ist in sanftes türkis und weiß getaucht und um mich herum schweben fröhlich grinsende 60+ auf rollenden Sesseln vorbei. 60+ bezieht sich dabei sowohl auf das Alter wie auch das Körpergewicht. Denn das Paradies hat alles, bis auf gut gebräunte Strandschönheiten unter 35 Jahren nahe am Idealmaß. Die paar wenigen die es gibt, sind dermaßen im Honeymoon, dass man als außenstehender Tourist Zahnschmerzen bekommt. Nach Kolumbien ist das schon ein schwerer Schock für die Sinnesorgane und es fehlt nicht mehr viel und ich räume als letzter die Insel auf. Bewaffnet mit einem Handkehrer und einer Schaufel und verliebe ich mich in eine Ziege oder Lattenzaun als Eve-Ersatz. Apropos Ziege, ist euch schon mal nachts eine Ziege auf der Straße begegnet? Die Viecher sehen von vorne betrachtet im Halbdunkeln aus wie kleine Gremlins, echt spooky! Zum Glück habe ich kein Wasser auf sie verschüttet, wäre höchstwahrscheinlich der Untergang für das Paradies gewesen.
Mittels Flugticket nach Aitutaki flüchte ich vor dem ruhigen Inselleben auf Rarotonga um mich der absoluten Null-Linie der Hektik hinzugeben. Dort ist es dermaßen relaxed, dass man sich automatisch über krähende Hähne am Morgen freut, die einem als grandioser Weckerersatz dienen. Die Zeit totzuschlagen gebe ich ab dem ersten Tag auf und übe mich stattdessen in meditativem Nichtstun. Am Strand versuche ich mich als der Welt erster Solar-Döner und rotiere gleichmäßig bei direkter Sonnenbestrahlung für eine optimale Knusprigkeit um die eigene Achse. Zudem stelle ich mir die Fragen, die man sich im Leben mindestens einmal stellen sollte. Nach wie vielen Monaten wird man mit LSF 70+ Sonnencreme braun? Warum ist Hubba Bubba als Kaugummi zugelassen, da es doch eigentlich viel zu groß ist um es in einem Stück angenehm kauen zu können? Wieviel Kilogramm künstlicher Aromastoff ist in einer durchschnittlichen Portion Mango-Mix-Eis und wie wirkt sich das auf die empfohlene Tagesdosis aus? Wie viele Kokosnüsse braucht man um ein Floß zu bauen? Nach wie vielen Wochen auf Aitutaki wird man wahnsinnig und will unbedingt auf Hähne schießen? Wie viel gute Laune kann der Mensch verkraften ohne ernsthafte Magenbeschwerden davonzutragen? Ist Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ das richtige Buch für die Insel? Ist das WiFi im Paradies nur deshalb so teuer, damit man mehr Zeit aufs honeymoonen verbringt anstatt seine Facebook Stati zu aktualisieren?
Am Abend schlendere ich zur Island Night, eigentlich die selbe Tanzvernstaltung wie auf der Osterinsel nur tragen die Damen hier Kokosnuss-BHs anstelle der (flauschigen) Osterinsel-Federboa-BHs. Der Sound ähnelt sich auch sehr stark und das Paarungsverhalten wilder Polynesier scheint auf Basis eines uralten Ritus weltweit genormt zu sein. Das All-You-Can-Eat Dinner ist dennoch Lohnenswert, denn es gibt Cookie-Style Ceviche, also rohen Fisch mit Marinade. Das alles wird hier zwar nicht Ceviche genannt, aber ich konnte mir den Namen nicht behalten. Und bei diesem Essen brennt wieder die Sehnsucht nach Südamerika in mir auf. So einlullend das Paradies auch sein mag, für mich ist es im Moment der falsche Ort zur falschen Zeit. Mit solch unsinnigen First-World Erfindungen wie Busfahrplänen und Öffnungszeiten komme ich nach sechs Monaten Chaos und Improvisation nicht mehr zurecht. Und die einwandfrei funktionierende Klospülung starre ich bei der ersten Benutzung minutenlang entgeistert an und wundere mich wo der Haken an der Sache ist. Mir fehlt der Zufallsmoment und das unvorhersehbare, das Rätseln über die letzte Essensbestellung und die Imbissbude an der Ecke mit undefinierbar gegrilltem toten Tier. Das ich hier wieder anfangen muss einen Tag zu organisieren ist in höchstem Maß befremdlich. Oh Australien, ich ahne fürchterliches.
*) Eine kleine Schramme nach vollem Einsatz beim Beachvolleyball mit den Kunas hat sich etwas entzündet und wird nun seit ein paar Tagen mit einer antiseptischen Paste behandelt. Alles wird gut, solange ich den Fuß sauber und trocken halte, was bei Strand und türkis-blauem Wasser nicht ganz einfach ist.
bist du im Paradies verloren gegangen? what´s up buddy? Hier wirds Altweibersommer und falls du Hunger hast gibts Börek! Grüße nach down under!
selver und wolfgang
Meine Homebase hat euch sicherlich berichtet wo ich gerade bin 😉 No worries alles wird gut.